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ArtikelInformierte Einwilligung

Informierte Einwilligung

Übersicht

In diesem Artikel geht es um das Einholen informierter Einwilligungen bei empirischen Forschungsvorhaben. Im Rahmen des Einholens dieser Einwilligungen werden die Forschungsteilnehmenden detailliert über das Forschungsvorhaben aufgeklärt und ihre Zustimmung wird erbeten. Sie ist eine Voraussetzung für die Verarbeitung personenbezogener Daten und in der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) festgeschrieben.

Definition

Informierte Einwilligung (informed consent) meint die Zustimmung der Forschungsteilnehmenden zur Erhebung und Verarbeitung sie betreffender Daten und Informationen im Rahmen eines Forschungsvorhabens sowie zu deren freiwilliger Teilnahme auf der Basis umfangreicher und verständlicher Informationen. Sie ist auch für eine mögliche Archivierung und Nachnutzung erforderlich. Die Ausgestaltung einer informierten Einwilligung muss dabei sowohl datenschutzrechtliche Anforderungen und ethische Grundsätze gleichermaßen adressieren.

Einführung

Im Rahmen von empirischen Forschungsvorhaben ist es in der Regel notwendig, eine informierte Einwilligung einzuholen, die die Teilnehmenden detailliert über das Forschungsvorhaben aufklärt und explizit deren Zustimmung einfordert. Die Einwilligung kann dabei in schriftlicher oder mündlicher Form eingeholt werden. Weil eine datenschutzrechtliche Nachweispflicht existiert, wird häufig jedoch die Schriftform empfohlen.

Die informierte Einwilligung erfüllt mehrere Zwecke: Zum einen ist sie Bestandteil datenschutzrechtlicher Anforderungen bei der VerarbeitungDer Begriff der 'Verarbeitung' ist definiert als 'jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung;' (BlnDSG §31, 2020; EU-DSGVO Artikel 4 Nr. 2, 2016). Die Verarbeitung bezeichnet also jegliche Form der Arbeit mit personenbezogenen Daten, von der Erhebung bis zur Löschung. Weiterlesen personenbezogener DatenPersonenbezogene Daten sind: 'alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (betroffene Person) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser Person sind, identifiziert werden kann;...' (EU-DSGVO Artikel 4 Nr. 1, 2016; BDSG §46 Abs. 1, 2018; BlnDSG §31, 2020). Weiterlesen und schützt das Recht der/des Einzelnen, selbst über Preisgabe und Verwendung der gegebenen Informationen zu bestimmen. Der Datenschutz und der Schutz von Persönlichkeitsrechten sind somit eng an Aspekte der Anonymisierung oder Pseudonymisierung gekoppelt. Zum anderen ist sie ein wichtiges Prinzip forschungsethischer RichtlinieForschungsethik befasst sich mit dem Verhältnis zwischen Forschenden, Forschungsfeld und Beforschten. Dabei wird dieses Verhältnis vor dem Hintergrund der durch die Forschung hergestellten Vulnerabilitäten und Machtasymmetrien kritisch reflektiert (Unger, Narimani & M’Bayo, 2014, p.1-2). Gerade wegen der Prozesshaftigkeit und Offenheit einer ethnografischen Forschung treten forschungsethische Fragen im gesamten Forschungsprozess in verschiedener Weise auf. Sie variieren je nach Forschungskontext und Forschungsmethoden. Forschungsethik hört allerdings nicht mit dem Verlassen des Feldes auf, sondern umfasst ebenfalls Fragen der Datenarchivierung, des Datenschutzes sowie des Teilens der Forschungsdaten mit den Forschungsteilnehmenden (siehe z. B. Ethikpapiere der DGSKA oder das Positionspapier zur Archivierung, Bereitstellung und Nachnutzung von Forschungsdaten der dgv). Weiterlesenn und respektiert damit die Autonomie und Selbstbestimmtheit der Forschungsteilnehmenden. Die betroffenen Personen werden über die Zielsetzung und Methodik der Forschung/Studie, sowie über ihre Rechte und mögliche Risiken bei der Teilnahme aufgeklärt. Auf Basis dieser Informationen können die Forschungsteilnehmenden frei entscheiden, ob sie am Forschungsvorhaben teilnehmen wollen. Für Sozial- und Kulturanthropolog*innen ist es dabei grundsätzlich relevant, eine ethnozentrische Perspektive auf forschungsethische Aspekte zu vermeiden und die informierte Einwilligung in den jeweiligen Forschungskontext einzupassen.

Eine wirksame Einwilligung sollte folgenden Anforderungen genügen:

1) Informiertheit, Entscheidungskompetenz und Einwilligungsfähigkeit

Damit die betroffenen Personen ihr Recht auf Selbstbestimmung ausüben und mögliche Auswirkungen ihrer Einwilligung einschätzen können, müssen sie verstehen, was sie mit ihrer Unterzeichnung bestätigen. Die informierte Einwilligung sollte daher transparent, verständlich und der jeweiligen Zielgruppe entsprechend formuliert sein und sämtliche Informationen enthalten, ohne die betroffenen Personen zu überfordern oder abzuschrecken. Dabei sollten sprachliche, kulturelle und/oder altersbedingte Verständnisbarrieren berücksichtigt werden, um den Teilnehmenden eine wirkliche Entscheidung zu ermöglichen. Des Weiteren müssen gesetzliche Regelungen in Hinblick auf Mündigkeit beachtet werden. Bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland müssen die Erziehungsberechtigten bis zum sechzehnten Lebensjahr ihrer Kinder zustimmen. In diesen Fällen muss neben der Einwilligung der betroffenen Kinder und Jugendlichen auch die der Erziehungsberechtigten eingeholt werden. Für andere nationale Kontexte kann aufgrund der jeweils geltenden Gesetzgebungen die Lebensjahrgrenze der Jugendlichen variieren (Verbund FDB, 2019).

2) Freiwilligkeit

Die informierte Einwilligung ist nur dann wirksam, wenn sie ohne Zwang oder Druck gegeben wird. Forschungsteilnehmende sollten dabei frei wählen können, ob und wem sie die Datennutzung und ‑verarbeitung erlauben. Dafür gilt es, die betroffenen Personen darüber aufzuklären, dass die informierte Einwilligung jederzeit widerrufen oder gänzlich verweigert werden kann. Der Widerruf wird allerdings erst ab Aussprache wirksam, denn "bereits erfolgte Verarbeitungen personenbezogener Daten auf Basis einer wirksamen Einwilligung werden vom Widerruf nicht berührt" (Schaar, 2017, p. 6).

3) Zweckgebundenheit

Die informierte Einwilligung erfolgt durch die Teilnehmenden für einen bzw. mehrere bestimmte Zwecke, die "so spezifisch wie nötig und so allgemein wie möglich" (Verbund FDB, 2019, p. 6) benannt und formuliert werden sollten. Dadurch ergeben sich Einwilligungsoptionen, die den Teilnehmenden die Möglichkeit bieten, ihre personenbezogenen Daten auch über das aktuelle Forschungsprojekt hinaus, zum Beispiel für die Archivierung und Nachnutzung, zur Verfügung zu stellen. Ändern oder erweitern sich Zwecke während des Forschungsvorhabens gravierend (wenn sich z. B. eine neue Fragestellung ergeben hat) sollte ggf. eine neue, angepasste Einwilligung von den betroffenen Personen eingeholt werden. Es gilt, alle Schritte der (verschiedenen) Verwendungszwecke und der Datenverarbeitung transparent, vollständig und genau anzugeben, da es sonst zu Einschränkungen und Komplikationen in der Nutzung, der Archivierung oder auch der Nachnutzung der Daten kommen kann.

Es lässt sich zusammenfassend festhalten:

"Die informierte Einwilligung (informed consent) setzt voraus, dass Studienteilnehmer/-innen in die wesentlichen Aspekte des Forschungsvorhabens eingeweiht wurden, ihre Einwilligung zweckgebunden erfolgte und ihnen bekannt gemacht wurde, dass sie ihre – freiwillig erfolgte – Einwilligung jederzeit widerrufen können".

(Trixa & Ebel, 2015, p. 12)

Motivation

In der qualitativen sozialwissenschaftlichen Forschung und insbesondere in der ethnografischen FeldforschungEthnografische Feldforschung bezeichnet die Erhebung empirischer Daten vor Ort, d. h. in konkreten sozialen Lebenswelten, im Gegensatz zu Labor- oder Archivforschung oder standardisierten Fragebogenstudien. Die in der Regel langfristige Teilnahme der Ethnograf*innen am Alltag der untersuchten Gruppe ermöglicht die direkte Beobachtung sozialer Praktiken und Prozesse und damit Aussagen über tatsächliches Verhalten. Bedeutsam ist, dass die Forschenden immer Teil der Situationen im Feld sind und die ihnen zugeschriebene sowie von ihnen eingenommene soziale Position wesentlich Einfluss auf ihre Daten hat, d. h. auf das, was sie erfassen und erkennen können. Weiterlesen gilt es, ethische und rechtliche Überlegungen und Vorgaben (auch in Bezug auf die informierte Einwilligung) zu beachten. Da in empirischen Feldforschungsprojekten kollaborativ, auf Gegenseitigkeit beruhend und vertrauensbasiert mit und über Menschen geforscht wird, sind erhobene Daten in den meisten Fällen personenbezogen und sensibel. Deshalb haben Forschende stets die Verantwortung, die Konsequenzen ihrer Schritte abzuwägen und die Forschungsteilnehmenden, aber auch sich selbst, vor jeglichem Schaden zu schützen.

"Empirische Wissenschaften untersuchen oft datenschutzrechtlich kritische Bereiche. Sie berühren dabei vertrauliche, persönliche und geschützte Informationen von Menschen. ... Für jede ethisch vertretbare Forschung ist es daher essentiell, eine Strategie zum Schutz der Identität der Studienteilnehmer/-innen zu entwerfen und umzusetzen".

(Trixa & Ebel, 2015, p. 12)

Der Schutz der Forschungsteilnehmenden ist bei der Verarbeitung der Forschungsdaten und -materialien und ihrer Nutzung bspw. in Publikationen und Vorträgen, aber auch bei der Weitergabe für die Nachnutzung zu berücksichtigen. Was forschungsethisch geboten ist, hat eine datenschutzrechtliche Entsprechung: Für die Erhebung, Löschung oder mögliche Nachnutzung erhobener Daten muss laut Datenschutz-Grundverordnung und Datenschutzgesetzen der Bundesländer in der Regel das Einverständnis (informierte Einwilligung) der Betroffenen eingeholt werden.

Besonders schützenswertEinen eigenen Teilbereich innerhalb der personenbezogenen Daten bilden die sog. besonderen Kategorien personenbezogener Daten. Ihre Definition geht auf den EU-DSGVO Artikel 9 Abs. 1, 2016 zurück, der besagt, dass es sich hierbei um Angaben über Weiterlesen gelten laut Datenschutz-Grundverordnung beispielsweise Angaben zu Herkunft, politischer Einstellung, Religionszughörigkeit und Daten zur Gesundheit oder Sexualität, da die Verarbeitung dieser Informationen mit der Gefährdung von Grundrechten und Freiheiten der betroffenen Personen einhergehen können. Daten dieser Art dürfen nur mit einer expliziten Einwilligung der Teilnehmenden erhoben werden und sind zudem "in einer Einwilligungserklärung besonders zu adressieren, wenn sie im Forschungsvorhaben erhoben oder an ein Forschungsdatenzentrum zur Archivierung und Sekundärnutzung übermittelt werden" (Kretzer et al., 2020, p. 2).

Methoden

Informierte Einwilligung von Anne Voigt mit CoCoMaterial, 2023, lizenziert unter CC BY-SA 4.0

Quelle: Informierte Einwilligung, Anne Voigt mit CoCoMaterial, 2023, lizenziert unter CC BY-SA 4.0

Zeitpunkt und Form

Eine Einwilligung sollte idealerweise der Datenerhebung vorausgehen und entweder schriftlich, durch eine Unterschrift auf einem Formular, oder mündlich eingeholt und entsprechend dokumentiert werden.

Zwar hat die schriftliche Form der Einwilligung den Vorteil der Verbindlichkeit und Nachprüfbarkeit, doch garantiert sie nicht unbedingt eine ethisch adäquate und verantwortungsbewusste Weitergabe an Informationen und kann bei Forschungsteilnehmenden als zu formell oder auch einschüchternd wahrgenommen werden, was mitunter zu Irritationen führen kann. Auch ist die Erlangung der Einwilligung in Schriftform in einigen Fällen praktisch nicht möglich, z. B. wenn Forschungsteilnehmende schreibunkundig sind oder wenn schriftbürokratische Prozesse im jeweiligen Forschungskontext völlig ungewöhnlich sind (siehe unter Anwendungsbeispielen).

Sofern mündliche Zustimmungen zusammenhängend und rechtssicher dokumentiert werden und nachweisbar sind (zum Beispiel als gespeicherte und abrufbare Bestätigung auf einem Aufnahmegerät), stellen sie eine effektive Alternative zur Schriftform dar und sorgen in bestimmten Feldern und Forschungszusammenhängen ggf. für ein besseres Verständnis und eine Vertrauensbasis zwischen Forschenden und Forschungsteilnehmenden:

"Recorded oral consent on audio or even on video tape combined with oral explanations may replace a signed form."

(Huber & Imeri, 2021, p. 16)

Um sicherzugehen, dass eine mündliche Einwilligungserklärung datenschutzrechtlich angemessen ist, ist es sinnvoll, mit den Datenschutzbeauftragten der jeweiligen Einrichtung Rücksprache zu halten1 den Datenschutzbeauftragten der FU Berlin finden Sie unter: https://www.fu-berlin.de/einrichtungen/interessenvertretungen/datenschutz/dahlem/index.html.

Die Form der Dokumentation (ob schriftlich oder mündlich) sollte dabei an den jeweiligen Forschungskontext angepasst und konsensual unter Einbezug der Forschungsteilnehmenden ausgehandelt werden:

"Every single case needs its own strategy for negotiating consent".

(Huber & Imeri, 2021, p. 13)

Inhalte

Folgende drei Teile gehören idealerweise in eine informierte Einwilligung, damit diese rechtlich und inhaltlich vollständig und wirksam ist (Verbund FDB, 2019; Imeri et al., 2023, p. 235):

1) Informationen zum Forschungsvorhaben

  • Vorstellung des Forschungsvorhabens – Informationen zum Inhalt, Ablauf und den Zielen
  • Methoden der Datenerhebung (z. B. Fragebögen, Videoaufzeichnung, Fotografie, Durchführung von Interviews, teilnehmende Beobachtung etc.)
  • Nennung der beteiligten Forschungseinrichtungen

2) Datenschutz und Rechte

  • Hinweise auf die wichtigsten Rechte bezüglich der Teilnahme, sowie der Datenverarbeitung und -weitergabe, insbesondere zur Freiwilligkeit und zum Recht auf Abbruch, Einschränkung der Verarbeitung oder Widerspruch ohne Nachteile sowie
  • Möglichkeit des Widerrufs mit Wirkung für die Zukunft
  • Informationen darüber, welche personenbezogenen Informationen (z. B. Namen, Adressdaten, Alter) und ggf. besonderen Kategorien personenbezogener Daten nach DSGVO erhoben und verarbeitet werden
  • Identität der Verantwortlichen und der datenverarbeitenden Stellen
  • Verwendungszwecke, -ziele und Hinweise zur geplanten Verarbeitung und Nutzung (z. B. Dissertation, die veröffentlicht wird); falls eine Archivierung und Nachnutzung vorgesehen ist, diese explizit benennen
  • Hinweise zur Art der Verarbeitung, falls diese bereits bekannt ist (zum Beispiel Transkription, geplante Anonymisierungsverfahren etc.)
  • Verweis zum vertraulichen Umgang mit personenbezogenen Daten: beispielsweise die getrennte Speicherung der Kontakt- und Forschungsdaten
  • Informationen darüber, wie Forschungsdaten gespeichert, erhalten und langfristig verwendet werden sollen

3) Einwilligungsbogen

  • Abfrage des Einverständnisses, Name, Ort/Datum, Unterschrift

Anwendungsbeispiele

Folgende Beispiele beschreiben spezifische Kontexte aus ethnografischen Forschungsfeldern und diskutieren die Auswirkungen, die der jeweilige Umgang mit der informierten Einwilligung auf die Forschungspraxis hatte.

Beispiel 1: Informierte Einwilligung im Rahmen langfristiger ethnografischer Feldforschung (Röttger-Rössler, 2023)

als Audio

Quelle: Kommentar zum Informed Consent Röttger-Rössler, Birgitt Röttger-Rössler, 2023, lizenziert unter CC BY-NC-ND 4.0

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Ein großer Teil ethnografischer Forschung vollzieht sich im Rahmen langfristiger, stationärer Feldaufenthalte und ist durch eine enge Teilnahme der Forschenden am Alltag der jeweiligen Gruppe geprägt. In diesem „klassischen“ Forschungsformat wird „informed consent“ auf zwei Ebenen relevant: einer formalen und einer informalen Ebene. Zunächst muss in der Regel jede Ethnografin, jeder Ethnograf über eine offizielle, behördliche Forschungsgenehmigung verfügen, um sich überhaupt längerfristig vor Ort aufhalten zu dürfen. Je nach Land gelten hier unterschiedlich komplexe Regelungen. In Indonesien muss zum Beispiel bei der staatlichen Forschungsbehörde eine Forschungserlaubnis eingeholt werden, um überhaupt ein Forschungsvisum für einen längeren Zeitraum zu bekommen. Auf Grundlage des zuvor einzureichenden Forschungsexposés wird bei der Behörde über die Genehmigung entschieden, was mitunter lange dauern und auch abschlägig beurteilt werden kann. So gibt es politisch sensible Themenbereiche, für die es nahezu aussichtlos ist, eine Forschungsgenehmigung zu erhalten.

Die vorliegende Forschungsgenehmigung gilt es dann, den jeweiligen regionalen Behörden und Autoritäten vorzuzeigen, wobei der Genehmigungsweg der behördlichen Hierarchie in absteigender Richtung folgt: am untersten Ende stehen die lokalen Verantwortlichen wie Stadtteil- und Bezirksregenten oder die Vorstände von Dörfern. Diese tragen letztendlich aber die alltägliche Verantwortung für die von obersten Behörden autorisierten Forscher*innen. In der Regel übernehmen es dann diese Amtsträger, die lokale Bevölkerung gemeinsam mit dem oder der jeweiligen Forschenden über Ziele und Inhalt des Vorhabens zu informieren. Ist diese Praxis nun als ‚informed consent‘ zu verstehen? Vor allem in hierarchisch strukturierten Gesellschaften wird die lokale Bevölkerung nicht um ihre Meinung gefragt oder um Zustimmung gebeten, sondern lediglich informiert.

So verhielt es sich zum Beispiel auch im Fall unserer Forschungen in Südsulawesi, Indonesien. Der kepala kampung (wörtl.: das Haupt des Dorfes) versammelte die Bewohner des Ortes, in welchem mein Mann und ich ein Jahr leben und forschen wollten und klärte sie auf, dass wir nun da seien mit einer Genehmigung von höchster Stelle aus Jakarta, um über das Dorf ein Buch zu schreiben und alle sich bemühen sollten, dass wir nur Gutes schreiben würden. Eine sehr ambivalente Situation. Wir haben versucht, unsere konkreten Anliegen noch etwas genauer zu erläutern, gleichzeitig aber gemerkt, dass unsere recht akademische Darlegung von Forschungsinteressen völlig deplatziert war und niemand damit etwas anzufangen wusste. Das Aushändigen von vorbereiteten Formularen an die Einzelnen mit der Bitte um schriftliche Zustimmung wäre komplett unmöglich gewesen, nicht nur aufgrund des Analphabetismus vieler, sondern auch aufgrund eines tiefen Misstrauens gegenüber Formularen.

Haben wir nun ohne ‚informed consent‘ gearbeitet? Nein, denn im Folgenden wurden wir natürlich von allen Personen immer wieder ausführlich befragt, wer wir seien, was wir wollen und wir haben immer und immer wieder unsere Absichten erläutert und dabei auch erlernt, dies in einer verständlichen nicht-akademischen Form zu tun.

In dem die Dorfbevölkerung uns dann aufgenommen und nach und nach immer mehr an ihrem Alltag hat teilhaben lassen, hat sie ihre Zustimmung ausgedrückt oder besser gesagt: praktiziert. Die Menschen vor Ort hatten die ganze Zeit die Hoheit darüber, was sie mit uns teilen wollten und was nicht. Ich habe erst bei späteren Aufenthalten gemerkt, wie viel anfangs noch vor uns verschlossen wurde. Dies ist m. E. ein ganz wichtiger Punkt: wenn die Personen über die und mit denen man arbeiten möchte, mit dem Forschungsanliegen sowie der Persönlichkeit und dem Auftreten des Forschenden nicht einverstanden sind, werden sie die Forschung zu boykottieren wissen. Im Forschungsalltag wird die lokale Bevölkerung zudem immer wieder durch das Verhalten der Ethnograf*innen an deren Anliegen erinnert – sei es durch deren ständige Notizen in mitgeführten Kladden, die vielen Fragen zu Zusammenhängen, die allen anderen klar sind oder ihr unwissendes und oft ungeschicktes Verhalten in zahlreichen Situationen.

Auf eine Kurzformel gebracht: Im Kontext langfristiger, stationärer Feldforschung bedeutet ‚informed consent‘ kein unterschriebenes Formular, sondern vollzieht sich in alltäglicher Praxis. Damit entzieht sich aber auch dieser ethnografische ‚informed consent‘ formalisierten Dokumentationsmustern.

Dieses Beispiel zeigt zum einen, dass sich „informed consent“ als eine Forschungspraxis verstehen lässt, die sich in den alltäglichen Interaktionen zwischen Forscher*in und Forschungsteilnehmenden immer wieder vollzieht. Aus ethischer Sicht ist diese – häufig praktizierte – Form der informierten Einwilligung nicht zu beanstanden, aber sie lässt sich nicht in formalisierter Form dokumentieren und damit nachweisen. Zum anderen verdeutlicht dieses Beispiel, dass formale (schriftliche oder aufgezeichnete mündliche) Einwilligungen in etlichen Kontexten vollkommen ungebräuchlich und damit auch äußerst befremdlich für die lokale Bevölkerung sein können, was zu Misstrauen führen und die Forschung deutlich erschweren kann.


Beispiel 2: Grenzen und Herausforderungen informierter Einwilligung (Dilger, 2005)

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Quelle: Kommentar zum Informed Consent Dilger, Camilla Heldt, 2023, lizenziert unter CC BY-NC-ND 4.0

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Zwischen 1995 und 2006 forschte Hansjörg Dilger (Universitätsprofessor für Sozial- und Kulturanthropologie, Freie Universität Berlin) zu HIV/AIDS, Moral und sozialen Beziehungen im ländlichen und urbanen Tansania. Der Forschungsfokus lag dabei auf der Lebenssituation von Infizierten und Erkrankten und der Organisation von Unterstützung und Hilfe aus dem jeweiligen familiären, sozialen und/oder religiösem Umfeld. Das vorliegende Forschungsbeispiel basiert auf einer ethnografischen Langzeitforschung in Tansania, die insgesamt 13 Monate andauerte (Dilger, 2005, pp. 24).

Auffallend war bei der Beantragung einer Förderung für dieses Forschungsvorhaben, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft in ihrer Begutachtung keinen ethischen Aspekt einfließen ließ. Erst bei der Beantragung einer Forschungsgenehmigung im Gastland Tansania wurde Dilger aufgefordert, eine Ethikgenehmigung aufzusetzen. Die Beantragung wurde dabei an eine lokale medizinische Institution (NIMR) weitergeleitet. Somit wurde das Thema und die Fragestellung der Forschung seitens der lokalen Behörden als Public Health-Forschung mit gesundheitsorientiertem Anspruch kategorisiert und es galten die ethischen Richtlinien für gesundheitswissenschaftliche Forschung. Dilger, der seine Fragestellungen als klassisch sozial-anthropologisch empfand, war davon zunächst überrascht.

Die bürokratischen Maßnahmen in Bezug auf ethische Richtlinien kamen in der konkreten Forschungspraxis besonders in Bezug auf das Einholen einer informierten Einwilligung allerdings an ihre Grenzen, was der Forscher selbst beschreibt: „In all diesen Situationen stellte ich rasch fest, dass es ethisch nicht vertretbar gewesen wäre, meine Gesprächspartner*innen direkt auf HIV/AIDS anzusprechen – oder aber ein Formular zum informed consent zu präsentieren, das einen solchen Bezug eindeutig herstellte“ (Dilger, 2015).

Denn insbesondere im ländlichen Tansania sei eine Erkrankung mit AIDS oder HIV gesellschaftlich und kulturell stark stigmatisiert und meist mit Hexerei, (sexual-)moralischen, sozialen oder rituellen Regelverstößen seitens erkrankter Personen assoziiert (Dilger, 2009, pp. 109). Hier gelte es den ethnozentrischen Blick biomedizinischer Vorstellungen des Phänomens „Krankheit“ zu überwinden und „alternative Denkweisen“ (Dilger, 2015) über „Hexerei, Gerüchte, Viren und Geister“ (ebd.) in Bezug auf die Ursache von Erkrankungen zu berücksichtigen und einzuflechten. Die konkrete Nachfrage über und zu HIV-Infektionen oder AIDS-Erkrankungen hätte in diesem Zusammenhang als ethisch verwerflicher Vorwurf verstanden werden können, was laut Dilger nicht vertretbar gewesen wäre: „Im ländlichen Raum wählte ich daher den Einstieg über die Frage nach „schweren“ und „chronischen“ Krankheiten und danach, wie individuelle Personen und familiäre Netzwerke mit solchen Herausforderungen umgingen“ (Dilger, 2015), das „ermöglichte es meinen InterviewpartnerInnen und mir, in bedeutungsvoller – und durch sie selbst bestimmte – Weise über die Kernfragen des Forschungsprojekts zu sprechen“ (ebd.).

Dieses Beispiel zeigt, dass das Einholen einer informierten Einwilligung ethisch umstritten und nicht immer möglich oder angemessen ist. Spezifische Fragen der Forschungsethik stellen sich in jedem Forschungsvorhaben individuell, wobei bedacht werden muss, inwiefern eine Forschung auch Schaden anrichten kann. Der (z. B. psychische, moralische oder körperliche) Schutz und die Integrität der Forschungsteilnehmenden muss immer gewährleistet werden. Wie in diesem Beispiel verdeutlicht, äußern sich diese Fragen insbesondere im Umgang mit tabuisierten Themen wie Sexualität, Tod oder Krankheit. Dabei können nicht nur die Unterzeichnung eines Formulars, sondern auch die Nennung des Themas oder Projekttitels, ein Risiko darstellen und/oder die Vertrauensbildung und den Feldzugang erschweren oder hemmen, was Dilger retrospektivisch reflektiert: „Hätten meine Forschungsteilnehmenden immer in das Gespräch mit mir eingewilligt, wenn ich sie unmittelbar über den Bezug meiner Studie zu HIV/AIDS informiert hätte (selbst wenn sie sich später von selbst für dieses Thema öffneten)?“ (Dilger, 2015).

So wird über die Notwendigkeit einer informierten Einwilligung, sowie über die ethische Standardisierung, Institutionalisierung und damit einhergehende Verbindlichkeiten von Ethikkommissionen nicht nur in der Ethnologie diskutiert. Übergreifende Ethikstandards bei ethnografischen Forschungen sind dabei in Deutschland (noch) nicht die Regel, Forschende in den USA beispielsweise sind aber vor dem Hintergrund der Institutional Review Boards (IRB) auf ein positives Votum angewiesen. Dies ist insofern kritisch zu betrachten, als dass „insbesondere politisch und sozial sensible Themen kaum einmal die Chance hätten, eine Ethikgenehmigung für ethnografisch flexible Forschungsansätze zu erhalten, wenn ethische Kriterien rigide angewendet werden“ (Dilger, 2015). So können Ethikstandards sowohl den Forschungsprozess einengen und hemmen, als auch Forscher*innen vor viele Hürden stellen. Dennoch sollten Ethikrichtlinien bei Forschungsaufenthalten im Ausland und bei interdisziplinären Projekten entsprechend gekannt und berücksichtigt werden.

Schließlich gilt, wie Dilger postuliert, „dass die Ethnologie – auch im Dialog mit anderen Disziplinen – proaktive Diskussionen darüber führt, wie unser Fach die mit Sicherheit anstehende Institutionalisierung ethischer Maßstäbe und Wertvorstellungen mitgestalten kann und gleichzeitig nicht hinter die theoretisch-konzeptuellen Debatten der letzten Jahrzehnte zurückfällt.“ (Dilger, 2015).


Beispiel 3: Vorteile schriftlicher informierter Einwilligung (Inhorn, 2004)

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Quelle: Kommentar zum Informed Consent Inhorn, Camilla Heldt, 2023, lizenziert unter CC BY-NC-ND 4.0

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Am Beispiel von Marcia Inhorns 15-jähriger Forschung zu In-Vitro-Fertilisation (IVF, also künstliche Befruchtung) in privaten Krankenhäusern in Ägypten und Libanon Ende der 80er bis Anfang der 2000er Jahre wird deutlich, inwiefern sich das Einholen einer schriftlichen informierten Einwilligung positiv auf Forschungsprozesse und -beziehungen auswirken kann.

Während Inhorns Forschung gestaltete sich der medizinanthropologische Feldzugang als schwierig: Zum einen waren Krankenhäuser in beiden Ländern Ende der 1980er Jahre von Privatisierungen und Patronage-Strukturen betroffen, was ein ethnografisches Forschungsvorhaben ohne den Kontakt zu einem medizinischen „Gate Keeper“ schier unmöglich machte. Zum anderen handelte es sich bei dem Thema der künstlichen Befruchtung und der damit oftmals einhergehenden Unfruchtbarkeit (sowohl des Mannes als auch der Frau) um kulturell stigmatisierte und sensible Angelegenheiten, die einer strengen Geheimhaltung unterliegen. So war es insbesondere für Anthropolog*innen – auch in Bezug zu der politisch konfliktbehafteten Situation der Region des mittleren Ostens – schwierig, einen Zugang zum Feld zu erlangen.

Dennoch gelang es Inhorn durch den Kontakt zu medizinischen „Gate Keepern“, die ihre Patientinnen über das Forschungsthema informierten und die Forscherin weiterleiteten, Zugang zu verschiedenen Privatkrankenhäusern im Libanon und Ägypten zu erhalten, wofür sie unter anderem die standardisierte Ethikgenehmigung des IRB (Institutional Review Board) einholte. Diese kam ihr angesichts ihres besonders sensiblen Themas der künstlichen Befruchtung zu Gute, denn gerade die schriftliche Einwilligungserklärung (mit Informationen über die Ziele der Forschung und der Aufklärung über die Freiwilligkeit der Teilnahme etc.) und die formelle Zustimmung durch Unterschrift begünstigten ein Vertrauen seitens der Forschungsteilnehmenden. Diese konnten sich durch die Formalisierung sicher sein, dass die Interviews ausschließlich unter strenger Wahrung von Vertraulichkeit geführt werden:

„In my view, the informed consent process was crucial in reassuring women that what they told me would be held in the strictest confidence, and that their names would never be used in any published report … I would argue that the process of written informed consent may actually ´break the ice´ and lead to greater rapport when the topic being discussed is private, sensitive, or illegitimate/illega. (….) Using written informed consent forms to guarantee secrecy has worked to my advantage (….) Indeed, several women in my study commented after our interviews were finished, ´Now I´ve told you all my secrets“ (…) as long as I assure women of that privacy through the written informed consent process, they were more than willing to share their stories of suffering with me (Inhorn, 2004, p. 2099).

Dieses Beispiel verdeutlicht, dass das Einholen einer (schriftlichen) informierten Einwilligung in einigen Fällen fruchtbar und relevant für den ethnografischen Forschungsprozess ist. Insbesondere in Themenfeldern, die von Stigmatisierungen betroffen sind, wird den Teilnehmenden der vertrauliche Umgang mit den sensiblen Forschungsdaten versichert, was das Vertrauen gegenüber forschenden Personen erhöhen und einen ersten „Eisbrecher“ darstellen kann. So muss die schriftliche Form der informierten Einwilligung nicht in jedem Falle abschreckend oder einschüchternd wirken und ist gerade im medizinanthropologischen Bereich institutioneller Einrichtungen wie Krankenhäusern – in denen ohnehin viel bürokratisierte Arbeit stattfindet – oft unausweichlich.

Ersichtlich wird, dass sich die forschende Person stetig auf's Neue mit den jeweiligen Begebenheiten und der Struktur des Forschungsfeldes, sowie Aspekten der Sicherheit der Teilnehmenden auseinandersetzen sollte, damit letztere sich sicher und komfortabel genug fühlen, Erfahrungen, Sichtweisen und Geschichten zu teilen. Die informierte schriftliche Einwilligung kann dabei ein unterstützendes Element sein.

Diskussion

Die informierte Einwilligung stellt im Kontext von Forschungsdatenmanagement ein wichtiges Instrument zur Legitimation der Datenverarbeitung, der Nutzung von Forschungsdaten für Publikationen oder ihrer Archivierung und Weitergabe dar. Im ethnologischen Kontext ethnografischer Forschung wird der informierten Einwilligung im Sinne einer „formalen, wenig flexiblen, vorab und schriftlich dokumentierten Erklärung – für die Forschung selbst und die Datenarchivierung“ (Imeri, 2018, p. 75), jedoch häufig mit Skepsis begegnet.

Das hat auch damit zu tun, dass informierte Einwilligungen Gegenstand ethischer wie formaler Regulierungsprozesse von empirischer Forschung sind. Im angloamerikanischen Raum wird das Einholen der informierten Einwilligung institutionell und obligatorisch durch eine Ethikkommission geprüft und begutachtet und gilt als forschungsethischer Grundsatz. In der Kultur- und Sozialanthropologie im deutschsprachigen Raum sind Ethikgutachten bisher zwar keine zwingende Voraussetzung, trotzdem haben Überlegungen zur wirksamen informierten Einwilligung seit der Einführung der DSGVO im Mai 2018 an Bedeutung gewonnen.

Dennoch ergeben sich in der ethnografischen Forschung tiefgreifende Probleme und Herausforderungen in Bezug auf das Einholen der informierten Einwilligung in stark formalisierter Form (siehe Anwendungsbeispiel Röttger-Rössler). Zum einen wird befürchtet, dass sich eine vorab einzuholende informierte Einwilligung negativ auf die Offenheit des Forschungsvorhabens und -vorgehensEine Haltung methodologischer Offenheit ist in der ethnografischen Forschung erforderlich, um sich der Dynamik sozialer Prozesse anpassen und auf nicht vorhersehbare Ereignisse im Feld reagieren zu können. Ein festgelegtes, unveränderliches Bündel an Forschungsmethoden wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Darüber hinaus zeichnet sich ethnografische Forschung auch durch die Offenheit gegenüber dem Forschungsmaterial nach der Datenerhebung aus: So sollen immer wieder neue theoretische Zugänge zum Material hergestellt werden, um dieses konstruktiv und vielschichtig interpretieren zu können. Weiterlesen auswirken könnte. Meist ist es in Bezug auf den Forschungsgegenstand, die jeweilige Forschungsmethode und der Form der Datenerhebung und -auswertung unmöglich, im Vorhinein umfassend über das konkrete Forschungsvorhaben, wie den genauen Ablauf, die Forschungsfragen und Ziele, sowie die erwarteten Ergebnisse zu informieren. So bleibt die informierte Einwilligung im Kontext ethnografischer Forschung zwangsläufig immer unvollständig, also "in process" und "unfinished" (Benner & Löhe, 2019, p. 352). Ferner können aufgrund der Offenheit des ethnografischen Feldes regelmäßig ungeplante und zufällige Begegnungen und Interaktionen mit Akteur*innen entstehen, die nicht um eine informierte Einwilligung gebeten werden können, bevor sich der/die Ethnograf*in mit ihnen unterhält. Die Grenzen der tatsächlichen Forschungsteilnahme sind folglich äußerst fluide. So wird Einverständnis dementsprechend häufig als "permanente Aufgabe und dynamisch-reflexiver Prozess der Aushandlung“ (Imeri, 2018, p. 74) verstanden und praktiziert. Entsprechend wird diskutiert, welche Form der Einwilligung (ob schriftlich oder mündlich) sowohl für die Beteiligung an einer Forschung als auch für eine mögliche Archivierung von Forschungsdaten im Nachgang angemessen und geeignet ist. Hier stellt sich die Frage, ob ggf. alternative oder flexible Regelungen und Formen der Einwilligung notwendig sind, um einerseits die datenschutzrechtlichen Anforderungen zu erfüllen und andererseits negative Auswirkungen auf ethnografische Forschungsprozesse möglichst zu vermeiden.

Die informierte Einwilligung wird insbesondere dahingehend kritisiert, dass ein unterzeichnetes Formular der forschenden Person ein alleiniges Recht auf und die Kontrolle über die Forschungsdaten geben könnte, obwohl in der ethnografischen Forschung Wissen geteilt, gemeinsam generiert und somit als koproduziert angesehen und behandelt wird. Entsprechend kann das Eigentum an den Daten und die Kontrolle über die Daten nicht ausschließlich bei Forschenden oder Forschungsinstitutionen liegen. Andererseits kann gerade die informierte Einwilligung auch als Instrument gehandhabt werden, die Kontrolle über die Daten ein Stück weit an die Forschungsteilnehmenden zurückzugeben, indem sie z. B. über die Nachnutzung ihrer personenbezogenen Daten (mit)entscheiden können. Dies geht aber nur in Kontexten, in welchen den lokalen Akteur*innen die Bedeutung von digitalen Speicherungen und Nachnutzungen bekannt ist und sie hieran interessiert sind.

Darüber hinaus stellt der formale und offizielle Prozess der Einholung der Einwilligung bei gleichzeitigem Vertrauensaufbau ethnografisch Forschende vor große Schwierigkeiten. Hierbei ist zu betonen, dass im Kontext ethnografischer Forschung in der Regel wechselseitig intensive, teils langfristige Beziehungen etabliert werden, die wesentlich auf Vertrauen beruhen. Das Einholen einer informierten Einwilligung kann Interaktionsprozesse im Feld stören und die Beziehung zu Forschungsteilnehmenden nachhaltig schädigen, etwa wenn das Thema der Forschung im lokalen Kontext stark mit Stigma behaftet ist (siehe Anwendungsbeispiel Dilger). Insbesondere wenn sensible oder stark tabuisierte Themen wie die eigene Krankheit, Schulden oder Gewalt Thema der Forschung sind, ist jedoch eine gute Vertrauensbasis unerlässlich. Auch die Form der Einwilligung – im Idealfall schriftlich und unterzeichnet – kann bei bestimmten Personengruppen, die z. B. bereits Repressionen ausgesetzt sind, zusätzliches Misstrauen wecken und den Feldzugang erschweren oder gar verhindern. In Kontexten aber, in denen formelle Praktiken wie das Unterschreiben von Dokumenten durchaus gängig sind, kann das Einholen von schriftlichen informierten Einwilligungen durchaus auch positive Auswirkungen auf die Gestaltung von Forschungsbeziehungen haben (siehe Anwendungsbeispiel Inhorn).

Forschende stehen persönlich in der Pflicht, während der Projektlaufzeit und nach Projektabschluss verantwortungsvoll mit Daten- und Forschungsmaterialien umzugehen. Diese Aufgabe wirft ethische Fragen auf, die über die Vermeidung sichtbarer Schäden und Nachteile für die Betroffene laut DSGVO hinausgehen. Die Beziehung und Interaktion zwischen Forschenden und Beforschten und den damit verbundenen Vulnerabilitäten oder Machtasymmetrien sollten in Bezug auf Forschungsethik, Risikoabwägung und Schadensvermeidung nicht ausgeblendet werden. Besonders bei Forschungen mit vulnerablen oder diskriminierten Gruppen (z. B. im Kontext der Illegalität, Gewalt oder Kriminalität) sollte die Gefährdung von Forschungsteilnehmenden und Forschenden, die mit der schriftlichen Einwilligungserklärung einhergehen kann, gleichermaßen beachtet werden. Dementsprechend sind ethische Überlegungen nicht mit dem Einholen von informierten Einwilligungen abgeschlossen, sondern sollten in allen Phasen und Entscheidungen bis zur Abgabe des Forschungsberichts miteinbezogen werden. Grundsätzlich gilt es, bezüglich der informierten Einwilligung zu bedenken, inwieweit diese tatsächlich zur Sicherung forschungsethischer Prinzipien beitragen kann, denn:

“It is the quality of the consent, not the format, that is relevant”.

(Huber & Imeri, 2021, p. 14)

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die informierte Einwilligung in empirischen Forschungsprojekten i. d. R. rechtlich notwendig und ethisch geboten ist. Wie die vorangehenden Ausführungen zeigen, stößt die Forderung einer informierten Einwilligung nach den Vorgaben der DSGVO – insbesondere in der ethnografischen Forschungspraxis – auf eine Reihe methodischer und ethischer Probleme. Dafür gibt es weder einfache noch allgemein gültige Lösungen, die spiegelbildlich aus Lehrbüchern übernommen und standardisiert angewendet werden können. In jedem Forschungsprojekt ist daher individuell zu prüfen, ob, wann und in welcher Form das Einholen einer wirksamen Einwilligung möglich ist. Dazu gehört auch, dass informierte Einwilligungen einerseits die Rechte der Befragten schützen und andererseits aber auch eine spätere Archivierung und Nachnutzung von Forschungsdaten ermöglichen sollen.

Aus Datenmanagement-Perspektive bietet es sich an, sämtliche im Zusammenhang mit der informierten Einwilligung durchzuführenden Tätigkeiten und getroffenen Entscheidungen im Datenmanagementplan Ein Datenmanagementplan (DMP) beschreibt und dokumentiert den Umgang mit den Forschungsdaten und Forschungsmaterialien einer Forschung während und nach der Projektlaufzeit. Im DMP wird festgehalten, wie die Daten und Materialien entstehen, aufbereitet, gespeichert, organisiert, veröffentlicht, archiviert und ggf. geteilt werden. Zudem werden im DMP Verantwortlichkeiten und Rechte geregelt. Als 'living document' (also ein dynamisches Dokument, das sich fortlaufend in Bearbeitung und Veränderung befindet) wird der DMP im Laufe des Projektes regelmäßig geprüft und bei Bedarf angepasst. Weiterlesen(DMP) festzuhalten. Falls das Einholen der informierten Einwilligung unmöglich bzw. die Erfordernisse an eine wirksame Einwilligung nicht eingehalten werden können, empfiehlt es sich, die Gründe dafür ebenso im DMP zu dokumentieren.

Tools

  • Qualiservice stellt DSGVO-konforme Vorlagen für die informierte Einwilligung auf der Webseite bereit. Die einzelnen Abschnitte können an die Erfordernisse Ihres konkreten Projektes angepasst werden. In der Handreichung zur informierten Einwilligung wird die Handhabung der Vorlagen erläutert und der rechtliche Rahmen erläutert. https://www.qualiservice.org/de/helpdesk.html#downloads
  • Verbund Forschungsdaten Bildung. (2018a). Formulierungsbeispiele für „informierte Einwilligungen“. Version 2.1 (fdbinfo 4). Forschungsdaten-bildung.de. https://www.forschungsdaten-bildung.de/files/fdbinfo_4.pdf
    Dieses Dokument bietet Formulierungsvorlagen für informierte Einwilligungen. Diese enthalten sowohl optionale als auch verpflichtende Textbausteine und die drei notwendigen Komponenten einer informierten Einwilligung: (1) Informationsteil, (2) Hinweis zum Datenschutz und (3) Einverständniserklärung.

  • Verbund Forschungsdaten Bildung. (2018b). Formulierungsbeispiele für „informierte Einwilligungen" in leichter Sprache. Version 1.1 (fdbinfo 5). Forschungsdaten-bildung.de. https://www.forschungsdaten-bildung.de/files/fdbinfo_5.pdf
    Formulierungsvorlagen für informierte Einwilligungen in leichter Sprache. Diese enthalten sowohl optionale als auch verpflichtende Textbausteine und die drei notwendigen Komponenten einer informierten Einwilligung: (1) Informationsteil, (2) Hinweis zum Datenschutz und (3) Einverständniserklärung.

  • Verbund Forschungsdaten Bildung. (2019). Checkliste zur Erstellung rechtskonformer Einwilligungserklärungen mit besonderer Berücksichtigung von Erhebungen an Schulen. Version 2.0 (fdbinfo 1). Forschungsdaten-bildung.de. https://www.forschungsdaten-bildung.de/files/fdbinfo_1.pdf
    Checkliste als Hilfestellung für die Ausgestaltung von Einwilligungserklärungen

  • Kretzer, S., Mozygemba, K., Heuer, J.-O. & Huber, E. (2020). Erläuterungen zur Verwendung der von Qualiservice bereitgestellten Vorlagen für die informierte Einwilligung. Unter Mitarbeit von Universität Bremen. Qualiservice Working Papers 2. https://doi.org/10.26092/ELIB/192
    Das Forschungszentrum Qualiservice bietet Erläuterungen zum Einholen informierter Einwilligungen. Am Ende des Dokumentes gibt es drei unterschiedliche Einwilligungsformulare: (1) Einwilligung für das (Primär-)Forschungsvorhaben (Seite 10), (2) Einwilligung für die weitere Nutzung der personenbezogenen Daten, bzw. Sekundärnutzung (Seite 18) und (3) Einwilligung für die Archivierung (Seite 26). Auch in englischer Sprache verfügbar.
    Die Mustervorlagen können auch als Leitfaden bspw. für das mündliche Einholen von Einwilligungen genutzt werden.

Endnoten

Literatur und Quellenangaben

  • Benner, A. & Löhe, J. (2019). Die informierte Einwilligung auf Tonband: Analyse im Rahmen einer qualitativen Interviewstudie mit älteren Menschen aus forschungsethischer und rechtlicher Perspektive. Zeitschrift Für Qualitative Forschung, 20(2), 341-356. https://elibrary.utb.de/doi/epdf/10.3224/zqf.v20i2.08

  • Dilger, H. (2005). Leben mit Aids. Krankheit, Tod und soziale Beziehungen in Afrika. Eine Ethnographie. Campus.

  • Dilger, H. (2017). Ethics, Epistemology and Ethnography: The Need for an Anthropological Debate on Ethical Review Processes in Germany. Sociologus, 67 (2), 191–208. https://doi.org/10.3790/soc.67.2.191

  • Europäische Datenschutz-Grundverordnung. (EU-DSGVO, 2016). Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016. intersoft consulting. https://dsgvo-gesetz.de

  • Huber, E. & Imeri, S. (2021). Informed consent in ethnographic research: A common practice facing new challenges (preprint), Qualiservie Working Papers Nr. 4-2021. http://dx.doi.org/10.26092/elib/1070

  • Imeri, S. (2018). Archivierung und Verantwortung. Zum Stand der Debatte über den Umgang mit Forschungsdaten in den ethnologischen Fächern. In RatSWD Working Paper Nr. 267/201,  69–79.  https://doi.org/10.17620/02671.35

  • Inhorn, M. C. (2004). Privacy, privatization, and the politics of patronage: ethnographic challenges to penetrating the secret world of Middle Eastern, hospital-based in vitro fertilization. Social Science & Medicine, 59(10), 2095–2108. https://doi.org/10.1016/j.socscimed.2004.03.012

  • Kretzer, S., Mozygemba, K., Heuer, J.-O., Huber, E. (2020). Erläuterungen zur Verwendung der von Qualiservice bereitgestellten Vorlagen für die informierte Einwilligung. Unter Mitarbeit von Universität Bremen, Qualiservice Working Papers, Nr. 2. https://doi.org/10.26092/elib/192

  • Schaar, K. (2017). Die informierte Einwilligung als Voraussetzung für die (Nach-)Nutzung von Forschungsdaten: Beitrag zur Standardisierung von Einwilligungserklärungen unter Einbeziehung der Vorgaben der DS-GVO und Ethikvorgaben. RatSWD Working Paper, Nr. 264. https://www.ratswd.de/dl/RatSWD_WP_264.pdf

  • Trixa, J. & Ebel, T. (2015). Einführung in das Forschungsdatenmanagement in der empirischen Bildungsforschung. Zusammenfassung des Workshops im Rahmen des CESSDA-Trainingsprogramms. forschungsdaten bildung informiert, Nr. 2. https://www.forschungsdaten-bildung.de/get_files.php?action=get_file&file=fdb-informiert-nr-2.pdf

  • Verbund Forschungsdaten Bildung. (FDB, 2019). Checkliste zur Erstellung rechtskonformer Einwilligungserklärungen mit besonderer Berücksichtigung von Erhebungen an Schulen (2nd. ed.). fdbinfo, Nr.1.  https://www.forschungsdaten-bildung.de/files/fdbinfo_1.pdf

Zitierweise

Heldt, C. & Röttger-Rössler, B. (2023). Informierte Einwilligung. In Data Affairs. Datenmanagement in der ethnografischen Forschung. SFB 1171 & Center für Digitale Systeme, Freie Universität Berlin. https://data-affairs.affective-societies.de/artikel/informierte-einwilligung/