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Nachnutzung

Übersicht

In diesem Artikel geht es um die Nachnutzung von Forschungsdaten, d. h. das Auffinden und Wiederverwenden von Forschungsdaten. Sie erfahren, wo und wie Forschungsdaten recherchiert, gefunden und genutzt werden können, die Perspektive liegt auf der des „Datennehmens“. Da die Nachnutzung von Daten eine Archivierung voraussetzt, sollten beide Artikel als miteinander verbunden verstanden werden. Im Artikel zur Archivierung liegt der Fokus auf dem „Datengeben“.

Definition

Bei der Nachnutzung von Forschungsdaten geht es um das Wiederverwenden bereits erhobener Daten (bzw. Materialien oder Quellen), die in einem Archiv, Repositorium oder Forschungsdatenzentrum archiviert wurden. D. h. Forschungsdaten und ihre MetadatenMetadaten sind Beschreibungen von Forschungsdaten (Daten über Daten) und geben inhaltliche und strukturierte Informationen zum Forschungskontext, dem methodischen und analytischen Verfahren, sowie über das jeweilige Forschungsteam, das die Daten generiert. Sie lassen sich unterscheiden in bibliographische, administrative, prozessuale und deskriptive Metadaten und werden beispielsweise in Form von Templates, ReadMe-Dateien oder Data Curation Profiles verfasst. Metadaten werden begleitend zu den Forschungsdaten selbst publiziert und gelten insbesondere in Online-Repositorien und Forschungsdatenzentren als unverzichtbar für das Nachvollziehen und Verstehen von Datensätzen durch Dritte. Auch erleichtern Metadaten die Auffindbarkeit und Maschinenlesbarkeit von Daten und sind somit Teil der FAIR-Prinzipien und der guten wissenschaftlichen Praxis. Weiterlesen und Kontextmaterialien (vgl. Artikel Datendokumentation und Metadaten) können online gefunden, je nach Art der Daten und ZugriffsrechtenIn Archiven oder Repositorien regeln Zugriffsrechte, welche Personen in welchem Umfang Zugang und Einsicht in Datenmaterial zur Nachnutzung bekommen. I. d. R. wird unterschieden zwischen einem Weiterlesen gelesen, heruntergeladen, gedruckt, verlinkt, gespeichert, analysiert und für ein eigenes Forschungsvorhaben mit neuen Fragestellungen verwendet werden, was den FAIR-PrinzipienDie FAIR-Prinzipien wurden 2016 erstmals von der FORCE 11-Community (The Future of Research Communication and e-Scholarship) entwickelt. FORCE11 ist eine Gemeinschaft von Wissenschaftlern, Bibliothekaren, Archivaren, Verlegern und Forschungsförderern, die durch den effektiven Einsatz von Informationstechnologie einen Wandel in der modernen wissenschaftlichen Kommunikation herbeiführen und so eine verbesserte Wissenserstellung und -weitergabe unterstützen will. Das primäre Ziel liegt in der transparenten und offenen Darlegung wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse. Demnach sollten Daten online findable (auffindbar), accessible (zugänglich), interoperable (kompatibel) und reusable (wiederverwendbar) abgelegt und strukturiert sein. Ziel ist es, Daten langfristig aufzubewahren und im Sinne der Open Science und des Data Sharing für eine Nachnutzung durch Dritte bereitzustellen. Genaue Definitionen der FORCE11 selbst können auf der Website nachgelesen werden siehe: https://force11.org/info/the-fair-data-principles/. Die FAIR-Prinzipien berücksichtigen ethische Aspekte der Weitergabe von Daten in sozialwissenschaftlichen Kontexten nicht hinreichend, weshalb sie um die CARE-Prinzipien ergänzt wurden. Weiterlesen und der Forderung nach Open Science'Der Begriff Open Science bündelt … Strategien und Verfahren, die allesamt darauf abzielen, ... alle Bestandteile des wissenschaftlichen Prozesses über das Internet offen zugänglich und nachnutzbar zu machen. Damit sollen Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft neue Möglichkeiten im Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen eröffnet werden' (AG Open Science, 2014). Weiterlesen entspricht (RatSWD, 2023, p. 33; DGfE, 2020, p. 4).

Einführung

Die Nachnutzung von Forschungsdaten ist keine grundsätzlich neue Idee, sondern schon immer Bestandteil wissenschaftlichen Arbeitens gewesen, mit der Digitalisierung eröffnen sich nur neue Wege. So lag z. B. das Ziel der 1949 in den USA gegründeten Human Relation Area Files (HRAF), einem Non-Profit-Zusammenschluss von Universitäten, Colleges, Bibliotheken und Forschungseinrichtungen darin, (bereits veröffentlichte) ethnografische Texte, Bildmaterialien sowie später auch Filmaufnahmen zu sammeln, thematisch sowie nach Regionen sortiert zu verschlagworten und Wissenschaftler*innen für interkulturelle Vergleichsstudien zur Verfügung zu stellen. Die Texte und Bilder wurden in stark verkleinerter Form auf Mikrofiche-Folien (Files) gespeichert, die dann mit speziellen Vergrößerungsgeräten gelesen werden konnten. Diese Technologie erleichterte die Materialsammlung für Vergleichsstudien, aber auch Sekundäranalysen enorm. Heute sind HRAF-Dokumente digital zugänglich und werden laufend erweitert1siehe Webseite: https://hraf.yale.edu/.

Mit fortschreitender DigitalisierungDigitale Daten werden durch Digitalisierung hergestellt, indem analoge Materialien in Formate überführt werden, die sich für eine elektronische Speicherung auf digitalen Datenträgern eignen. Digitale Daten haben den Vorteil, dass sie effizient und fehlerfrei vervielfacht, geteilt und maschinell verarbeitet werden können. Weiterlesen und der Forderung nach Open Science'Der Begriff Open Science bündelt … Strategien und Verfahren, die allesamt darauf abzielen, ... alle Bestandteile des wissenschaftlichen Prozesses über das Internet offen zugänglich und nachnutzbar zu machen. Damit sollen Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft neue Möglichkeiten im Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen eröffnet werden' (AG Open Science, 2014). Weiterlesen rückt die Nachnutzung von Forschungsdaten zunehmend ins Zentrum. Forschungsdaten aus öffentlich geförderter Forschung werden als Gemeinschaftsgut betrachtet, das in digitalisierter Form möglichst offen zugänglich und nutzbar sein sollte. Im besten Fall sind die Daten dabei kostenfrei abrufbar (Open AccessOpen Access bezeichnet den freien, kostenlosen, ungehinderten und barrierefreien Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen und Materialien. Für eine weitere rechtssichere Nachnutzung der Materialien durch Dritte müssen die Urhebenden mittels Lizenzvertrages die Nutzungsrechte an ihren Werken einräumen. Die freien CC-Lizenzen spezifizieren bspw. genau, wie Daten und Materialien weitergenutzt werden dürfen. Weiterlesen) und offen lizenziertIn einem Lizenzvertrag oder über eine offene Lizenz legen die Rechteinhabenden fest, wie und unter welchen Bedingungen das eigene urheberrechtlich geschützte Werk durch Dritte verwendet und oder verwertet werden darf. Weiterlesen, sodass sie nachgenutzt werden können, ohne die Datengebenden kontaktieren und um Erlaubnis fragen zu müssen. Voraussetzung dafür ist ein wechselseitiges Vertrauensverhältnis zwischen den Datengebenden und Datennehmenden: Erstere sollten ihre Daten sorgfältig gemäß datenschutzrechtlicher und forschungsethischer Anforderungen aufbereiten und das Nachnutzungspotential für Dritte genau prüfen (vgl. Artikel Archivierung, Datenschutz, informierte Einwilligung). Ist bei qualitativen Forschungsdaten mit sensiblen Themen ein offener Zugriff nicht möglich, sollten Verträge festlegen, wie Daten genutzt werden können. Nachnutzende wiederum sollten wertschätzend mit den vorgefundenen Daten umgehen, die Datengebenden durch Zitation honorieren und einen Datenmissbrauch in jedem Falle unterlassen (RatSWD, 2023, p. 33; DGfE, 2020, p. 4). Ein verantwortungsbewusster und reflektierter Umgang mit bereits bestehenden Daten – gegenüber Datengebenden und inkludierten Dritten – ist für die Re-Analyse unverzichtbar. Um bei letzterer Willkürlichkeit und Fehlinterpretationen zu vermeiden, sollten sich Nachnutzende anhand der Kontextinformationen (vgl. Artikel Datendokumentation) genauestens mit den Hintergründen der Forschung und der Art und Beschaffenheit der vorliegenden Daten auseinandersetzen. Ferner sollten sie ihre eigene (ethnografische) Position und Perspektive als Nachnutzende berücksichtigen und in die neue Analyse und Argumentation miteinfließen lassen (Huber, 2019, p. 8). Insbesondere bei personenbezogenenPersonenbezogene Daten sind: 'alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (betroffene Person) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser Person sind, identifiziert werden kann;...' (EU-DSGVO Artikel 4 Nr. 1, 2016; BDSG §46 Abs. 1, 2018; BlnDSG §31, 2020). Weiterlesen und sensiblen DatenEinen eigenen Teilbereich innerhalb der personenbezogenen Daten bilden die sog. besonderen Kategorien personenbezogener Daten. Ihre Definition geht auf den EU-DSGVO Artikel 9 Abs. 1, 2016 zurück, der besagt, dass es sich hierbei um Angaben über Weiterlesen stellt sich eine Nachnutzung datenschutzrechtlich als schwierig dar.

Motivation

Die Nachnutzung von Daten kann äußerst wertvoll sein: Anhand bereits erhobener Daten lassen sich Sekundäranalysen und Vergleichsstudien vornehmen. So können z. B. historische Entwicklungen und Veränderungen bzgl. der erforschten Thematik erfasst sowie neue Fragestellungen an die Daten herangetragen oder auch Datensätze kombiniert werden. Nachnutzende können so ihren Forschungs- und Studienschwerpunkt erweitern und vertiefen und gleichzeitig die genutzten Daten auf ihre Qualität und „Korrektheit“ hin überprüfen (RatSWD, 2023; DGfE, 2020; Forschungsdaten.Info, 2023h). Die transparente Darlegung der Erhebungs- und Auswertungsprozesse erhöht außerdem die Authentizität und das Verständnis von Daten und leistet im Sinne der FAIR-PrinzipienDie FAIR-Prinzipien wurden 2016 erstmals von der FORCE 11-Community (The Future of Research Communication and e-Scholarship) entwickelt. FORCE11 ist eine Gemeinschaft von Wissenschaftlern, Bibliothekaren, Archivaren, Verlegern und Forschungsförderern, die durch den effektiven Einsatz von Informationstechnologie einen Wandel in der modernen wissenschaftlichen Kommunikation herbeiführen und so eine verbesserte Wissenserstellung und -weitergabe unterstützen will. Das primäre Ziel liegt in der transparenten und offenen Darlegung wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse. Demnach sollten Daten online findable (auffindbar), accessible (zugänglich), interoperable (kompatibel) und reusable (wiederverwendbar) abgelegt und strukturiert sein. Ziel ist es, Daten langfristig aufzubewahren und im Sinne der Open Science und des Data Sharing für eine Nachnutzung durch Dritte bereitzustellen. Genaue Definitionen der FORCE11 selbst können auf der Website nachgelesen werden siehe: https://force11.org/info/the-fair-data-principles/. Die FAIR-Prinzipien berücksichtigen ethische Aspekte der Weitergabe von Daten in sozialwissenschaftlichen Kontexten nicht hinreichend, weshalb sie um die CARE-Prinzipien ergänzt wurden. Weiterlesen einen Beitrag zur guten wissenschaftlichen PraxisDie gute wissenschaftliche Praxis (GWP) bildet einen standardisierten Kodex, der als Regelwerk in den Leitlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) verankert ist. Die Leitlinien verweisen auf die ethische Verpflichtung jedes/jeder Forschenden, verantwortungsvoll, ehrlich und respektvoll vorzugehen, auch um das allgemeine Vertrauen in Forschung und Wissenschaft zu stärken. Sie können als Orientierung im Rahmen wissenschaftlicher Arbeitsprozesse geltend gemacht werden. Weiterlesen (GWP), was die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) begrüßt (DGfE, 2020, pp. 1).

Methoden

Für eine Nachnutzung werden unterschiedliche Zugänge ermöglicht, die an die Beschaffenheit der Daten (sensibel, personenbezogen etc.) gekoppelt sind:

  1. Freier Zugang
    Daten können entweder direkt und kostenfrei heruntergeladen und genutzt werden, oder nach Registrierung und Zustimmung der Nutzungsbedingungen eingesehen und verwendet werden.
  2. Zugang auf Antrag
    Sind gewünschte Daten nicht offen und frei digital nachnutzbar (wie es bei sensiblenEinen eigenen Teilbereich innerhalb der personenbezogenen Daten bilden die sog. besonderen Kategorien personenbezogener Daten. Ihre Definition geht auf den EU-DSGVO Artikel 9 Abs. 1, 2016 zurück, der besagt, dass es sich hierbei um Angaben über Weiterlesen und personenbezogenen DatenPersonenbezogene Daten sind: 'alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (betroffene Person) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser Person sind, identifiziert werden kann;...' (EU-DSGVO Artikel 4 Nr. 1, 2016; BDSG §46 Abs. 1, 2018; BlnDSG §31, 2020). Weiterlesen meist der Fall ist), bedarf es eines Datennutzungsvertrags, der beim jeweiligen Archiv, RepositoriumEin Repositorium bildet einen Ort der Aufbewahrung wissenschaftlicher Dokumente. In Online-Repositorien werden Publikationen digital gespeichert, verwaltet und mit persistenten Identifikatoren versehen. Die Katalogisierung vereinfacht die Suche und Nutzung von Publikationen und Autor*innen. In den meisten Fällen sind Dokumente in Online-Repositorien uneingeschränkt und offen zugänglich (Open Access). Weiterlesen oder Forschungsdatenzentrum angefordert und unterzeichnet wird. Dieser Vertrag ist nach Unterzeichnung rechtlich verbindlich, d. h. die angegeben LizenzenIn einem Lizenzvertrag oder über eine offene Lizenz legen die Rechteinhabenden fest, wie und unter welchen Bedingungen das eigene urheberrechtlich geschützte Werk durch Dritte verwendet und oder verwertet werden darf. Weiterlesen und Nutzungsbedingungen müssen in Bezug auf die Namensnennung und Zitation der Datengebenden genauestens berücksichtigt werden. Meist ist der Datenzugang nur für wissenschaftliche Nutzung in Forschung/und oder Lehre erlaubt und ein entsprechender Nachweis der Institution wird benötigt.
  3. Gesicherter Zugang
    Sensible und personenbezogene Daten (also Daten, die nicht hinreichend anonymisiert sind) können lediglich unter hohen Sicherheitsvorkehrungen nachgenutzt werden, um involvierte Personen zu schützen. Die geschützte und sichere Organisation und Bereitstellung dieser Daten geht vom jeweiligen Forschungsdatenzentrum aus: Durch eine On-Site-Nutzung ist die Nachnutzung beispielsweise in (digitalen) Safe-Rooms bzw. Gastarbeitsplätzen vor Ort möglich, die mit (teils mehreren) Passwörtern und unterschiedlichen Zugangs- und Outputkontrollen gesichert sind. In analogen Sicherheitsräumen dieser Art sind beispielsweise keine Handys, Laptops oder USB-Sticks erlaubt. Die Nutzung erfolgt durch einen internen Computer mit Intranet und eine physische oder digitale Übergabe der Daten entfällt. Für eine solche Nutzung können Kosten anfallen (DGfE, 2020, p. 15).

Unter dem Reiter „Tools“ sind Repositorien und Forschungsdatenzentren (Online-Datenbanken) aufgelistet, bei denen man online Daten herunterladen bzw. ihre Nutzung beantragen kann.

Qualiservice z. B. bietet als Nutzungsbedingungen folgende Optionen an: ein zeitliches Embargo (also eine Sperrfrist) oder der Ausschluss bestimmter Nutzungszwecke wie etwa die Verwendung des Materials in der Lehre. Besonders sensible Daten dürfen ggf. nur vor Ort in Bremen eingesehen werden.

Anwendungsbeispiele

Dieses Interview mit einer Doktorandin der Soziologie zeigt, wie die Nach­nutzung von (quan­titativen und personenbezogenen) Daten eines Statistikinstitutes gestaltet sein kann. Die PhD-Kandidatin forscht anhand bereits erhobener Daten des Instituts zum Thema Arbeitsverhältnisse und Erwerbstätigkeit junger Menschen in den Niederlanden.

Beispiel: Interview mit einer Soziologin

als Audio

Quelle: Interview Camilla Heldt mit einer Doktorandin, 2023, lizenziert unter CC BY-NC-ND 4.0

als Transkript


Frage: Ich spreche heute mit einer Soziologin, du bist Doktorandin und gerade mitten in deiner Forschung, hast du mir ja erzählt. Zu welchem Thema forschst du denn?

Antwort: Ich untersuche die Karriereverläufe junger Menschen am Arbeitsmarkt. Dazu werte ich quantitativ anonymisierte Daten zur Einkommens- und Beschäftigungssituation von Individuen aus.

Frage: Ah ja und du erhebst ja keine eigenen Daten meintest du, sondern nutzt sie nach im niederländischen Statistikinstitut. Wie genau sieht diese Nachnutzung der Daten aus?

Antwort: Genau, ich habe einen Vertrag mit dem Statistikinstitut und nutze die Daten über einen VPN. Um Zugriff auf die Daten zu erhalten, logge ich mich über eine Zwei-Faktor-Authentifizierung auf den Server des Statistikinstituts ein. Dazu benötige ich insgesamt drei verschiedene Passwörter. Als erstes bekomme ich durch eine passwortgeschützte App einen Code, um mich auf dem Server einzuloggen. Danach gebe ich dann mein personalisiertes Passwort ein. Auf dem Server muss ich mich in ein weiteres System einloggen, in dem ich dann Zugriff auf die Daten habe. Ich habe also einen primären und sekundären Account und nur im sekundären Account kann ich meine Daten nutzen.

Frage: Ah das klingt ja ziemlich komplex, wie ist deine Erfahrung bei der Nachnutzung? Also wie fühlst du dich dabei?

Antwort: Generell funktioniert die Nutzung der Daten gut und ich bin sehr froh darüber, dass ich so detaillierte Daten für meine Promotionsforschung nutzen kann. Nichtsdestotrotz gibt es häufiger technische Probleme beim Einloggen in den sekundären Account und, um diese zu lösen, muss ich jedes Mal die IT des Institutes anrufen und bis diese dann das Problem gefunden und gelöst haben, können durchaus ein bis zwei Tage vergehen und das kann schon auch mal frustrierend sein.

Frage: Ja das kann ich voll verstehen. Würdest du denn auch in zukünftigen Projekten Daten nachnutzen wollen?

Antwort: Ja durchaus. Trotz der kleinen Hürden würde ich auf jeden Fall auch gern in zukünftigen Projekten wieder mit den gleichen Daten arbeiten wollen.

Frage: Danke dir für diese Einblicke.

Antwort: Danke fürs Gespräch.

Tools

In folgenden Repositorien und Portalen können inhaltlich nachnutzbare qualitative Daten gefunden werden, wobei sich die Zugänglichkeit aufgrund der jeweiligen Kriterien für eine Nachnutzung unterscheiden kann:

  • Akkreditierte Forschungsdatenzentren (RatSWD), die sich auf qualitative For­schungsdaten spezialisiert haben wie z. B.:
    • Qualiservice Bremen: https://www.qualiservice.org/de/
      (mögliche Nachnutzung ethnografischer Daten insbesondere auch mit sensiblen Inhalten)2 Bei Qualiservice kann nach qualitativen sozialwissenschaftlichen Forschungsdaten aus verschiedenen Disziplinen gesucht werden: Das Datenportfolio umfasst neben Interviewdaten insbesondere ethnografisches Material wie Feldnotizen und Beobachtungsprotokolle, Mixed-Methods-Daten, Bild- und Tonmaterial sowie audiovisuelle Daten.

Diskussion

Trotz der geschilderten Vorteile ist die Nachnutzung von Daten und die Frage, ob und bis zu welchem Grad sie überhaupt sinnvoll und möglich ist, umstritten. In der Sozial- und Kulturanthropologie wird vor allem die enge persönliche Verwobenheit der Forschenden mit ihren Daten problematisiert, d. h. die Tatsache, dass ethnografische Daten stets emotionale und biografische Informationen zur jeweilig forschenden Person umfassen, die in vielen Fällen aus den Daten extrahiert werden müssten, um die Persönlichkeitsrechte der Ethnograf*innen zu schützen. Um die jeweiligen Forschungssituationen und die Involviertheit der Forscher*innen ausreichend nachvollziehbar und rekonstruierbar zu machen, müssten diese in die Kontextinformationen übertragen werden, was einen nicht unerheblichen Arbeitsschritt darstellt und die Daten zugleich aber auch „entleert“. So weisen Behrends et al. (2022) darauf hin, dass die zunehmenden Forderungen nach Open Science'Der Begriff Open Science bündelt … Strategien und Verfahren, die allesamt darauf abzielen, ... alle Bestandteile des wissenschaftlichen Prozesses über das Internet offen zugänglich und nachnutzbar zu machen. Damit sollen Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft neue Möglichkeiten im Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen eröffnet werden' (AG Open Science, 2014). Weiterlesen und der zur Verfügungstellung von Daten entweder erfordern, dass Forscher*innen einen hohen persönlichen und privaten Gehalt ihrer Forschung öffentlich transparent machen, oder aber, dass sie diese depersonalisieren, womit die „überwundene Illusion objektiver Erkenntnis durch die Hintertür wieder Zutritt erhalten könnte.“ Darüber hinaus kann eine Nachnutzung das (meist über einen langen Zeitraum hinweg) aufgebaute Vertrauensverhältnis zwischen Teilnehmenden und Forschenden bedrohen, denn geteilte Informationen, Gespräche und Aufzeichnungen würden für unbekannte Dritte zugänglich werden (Huber, 2019, pp. 5).

Lösungen für diese Probleme und Hürden, die z. T. von Qualiservice schon entwickelt wurden, können darin bestehen:

  • Eine sorgfältige und detaillierte Datendokumentation (vgl. Artikel Datendokumentation und Metadaten), die wesentliche Aspekte für eine Nachnutzung kenntlich macht, zugleich aber auch die Persönlichkeitsrechte der Forschenden wahrt
  • Entwicklung von informierten EinwilligungenInformierte Einwilligung (informed consent) meint die Zustimmung der Forschungsteilnehmenden zur Teilnahme an einem Forschungsvorhaben auf der Basis umfangreicher und verständlicher Informationen. Die Ausgestaltung einer informierten Einwilligung muss dabei sowohl ethische Grundsätze als auch datenschutzrechtliche Anforderungen adressieren. Weiterlesen, die an die Gepflogenheiten im Forschungskontext angepasst sind und genauestens über potentielle Nachnutzungsszenarien informieren
  • Entwicklung von Schemata zur Dokumentation von mündlichen Einwilligungen
  • Gut vereinbarte Nachnutzungs- und LizenzverträgeIn einem Lizenzvertrag oder über eine offene Lizenz legen die Rechteinhabenden fest, wie und unter welchen Bedingungen das eigene urheberrechtlich geschützte Werk durch Dritte verwendet und oder verwertet werden darf. Weiterlesen mit gesicherten und geschützten ZugängenIn Archiven oder Repositorien regeln Zugriffsrechte, welche Personen in welchem Umfang Zugang und Einsicht in Datenmaterial zur Nachnutzung bekommen. I. d. R. wird unterschieden zwischen einem Weiterlesen, wie im Anwendungsbeispiel aufgezeigt
  • die Einteilung in Datengenres (oder Datentypen) und eine Kuration/Auswahl von Daten, die sich für Nachnutzungen eignen (vgl. Kapitel Archivierung), wobei ethische Aspekte eine wichtige Rolle spielen sollten

Auch wenn der Wert von Nachnutzung im Zuge der Open-Science-BewegungDie Open-Science-Bewegung plädiert seit den frühen 2000er Jahren für eine offene und transparente Wissenschaft, in der alle Schritte des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses offen online zugänglich gemacht werden. So sollen nicht nur Endergebnisse von Forschungen wie Monographien oder Artikel öffentlich geteilt werden, sondern auch verwendete Materialien, die den Entstehungsprozess begleiteten wie: Labortagebücher, Forschungsdaten, verwendete Software, Forschungsberichte usw. Dadurch soll eine Partizipation an Wissenschaft und Erkenntnissen gefördert und interessierte Öffentlichkeiten angesprochen werden. Kreativität, Innovation und neue Kollaborationen sollen gefördert, Erkenntnisse auf ihre Qualität, Richtigkeit und Authentizität hin überprüft werden, was eine Demokratisierung von Forschung bezwecken soll. Zur Open Science zählen u. a. Open Access und Open Data, die Infrastrukturen des Teilens von Zwischenergebnissen von Forschungen bilden. Weiterlesen immer mehr an Bedeutung gewinnt, bedürfte es in den ethnografisch arbeitenden Fächern eines grundlegenden Umdenkens, damit Sekundäranalyse (auch in Ergänzung zu eigenen Erhebungen) als lohnenswert und attraktiv empfunden wird. Das betrifft insbesondere die Frage nach der Anerkennung, wenn doch die eigene Feldforschung gerade im Rahmen von Qualifizierungsarbeiten wesentlich ist. Umgekehrt sollte natürlich die Popularität der eigenen Datenerhebung nicht schwinden, um einen (unkritischen) Datenpositivismus zu vermeiden (DGfE, 2020, pp. 19). Der Weg erfolgreicher Nachnutzungsszenarien in ethnografisch arbeitenden Fächern ist noch holprig, doch beginnt das genannte Umdenken allmählich. Forschungsdatenmanagement, Dialog, Austausch, der Ausbau von Online-Datenbanken und das Planen der einzelnen Forschungsvorhaben sollten am Anfang dieses Weges erste Hilfsmittel und Unterstützungsmaßnahmen darstellen (Huber, 2019, pp. 16).

Endnoten

  • 1
    siehe Webseite: https://hraf.yale.edu/
  • 2
    Bei Qualiservice kann nach qualitativen sozialwissenschaftlichen Forschungsdaten aus verschiedenen Disziplinen gesucht werden: Das Datenportfolio umfasst neben Interviewdaten insbesondere ethnografisches Material wie Feldnotizen und Beobachtungsprotokolle, Mixed-Methods-Daten, Bild- und Tonmaterial sowie audiovisuelle Daten.

Literatur und Quellenangaben

Zitierweise

Heldt, C. & Röttger-Rössler, B. (2023). Nachnutzung. In Data Affairs. Datenmanagement in der ethnografischen Forschung. SFB 1171 & Center für Digitale Systeme, Freie Universität Berlin. https://data-affairs.affective-societies.de/artikel/nachnutzung/