Logo

Suche in DATA AFFAIRS

LerneinheitNachnutzung

Diskussion

Trotz der geschilderten Vorteile ist die Nachnutzung von Daten und die Frage, ob und bis zu welchem Grad sie überhaupt sinnvoll und möglich ist, umstritten. In der Sozial- und Kulturanthropologie wird vor allem die enge persönliche Verwobenheit der Forschenden mit ihren Daten problematisiert, d. h. die Tatsache, dass ethnografische Daten stets emotionale und biografische Informationen zur jeweilig forschenden Person umfassen, die in vielen Fällen aus den Daten extrahiert werden müssten, um die Persönlichkeitsrechte der Ethnograf*innen zu schützen. Um die jeweiligen Forschungssituationen und die Involviertheit der Forscher*innen ausreichend nachvollziehbar und rekonstruierbar zu machen, müssten diese in die Kontextinformationen übertragen werden, was einen nicht unerheblichen Arbeitsschritt darstellt und die Daten zugleich aber auch „entleert“. So weisen Behrends et al. (2022) darauf hin, dass die zunehmenden Forderungen nach Open Science'Der Begriff Open Science bündelt … Strategien und Verfahren, die allesamt darauf abzielen, ... alle Bestandteile des wissenschaftlichen Prozesses über das Internet offen zugänglich und nachnutzbar zu machen. Damit sollen Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft neue Möglichkeiten im Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen eröffnet werden' (AG Open Science, 2014). Weiterlesen und der zur Verfügungstellung von Daten entweder erfordern, dass Forscher*innen einen hohen persönlichen und privaten Gehalt ihrer Forschung öffentlich transparent machen, oder aber, dass sie diese depersonalisieren, womit die „überwundene Illusion objektiver Erkenntnis durch die Hintertür wieder Zutritt erhalten könnte.“ Darüber hinaus kann eine Nachnutzung das (meist über einen langen Zeitraum hinweg) aufgebaute Vertrauensverhältnis zwischen Teilnehmenden und Forschenden bedrohen, denn geteilte Informationen, Gespräche und Aufzeichnungen würden für unbekannte Dritte zugänglich werden (Huber, 2019, pp. 5).

Lösungen für diese Probleme und Hürden, die z. T. von Qualiservice schon entwickelt wurden, können darin bestehen:

  • Eine sorgfältige und detaillierte Datendokumentation (vgl. Artikel Datendokumentation und Metadaten), die wesentliche Aspekte für eine Nachnutzung kenntlich macht, zugleich aber auch die Persönlichkeitsrechte der Forschenden wahrt
  • Entwicklung von informierten EinwilligungenInformierte Einwilligung (informed consent) meint die Zustimmung der Forschungsteilnehmenden zur Teilnahme an einem Forschungsvorhaben auf der Basis umfangreicher und verständlicher Informationen. Die Ausgestaltung einer informierten Einwilligung muss dabei sowohl ethische Grundsätze als auch datenschutzrechtliche Anforderungen adressieren. Weiterlesen, die an die Gepflogenheiten im Forschungskontext angepasst sind und genauestens über potentielle Nachnutzungsszenarien informieren
  • Entwicklung von Schemata zur Dokumentation von mündlichen Einwilligungen
  • Gut vereinbarte Nachnutzungs- und LizenzverträgeIn einem Lizenzvertrag oder über eine offene Lizenz legen die Rechteinhabenden fest, wie und unter welchen Bedingungen das eigene urheberrechtlich geschützte Werk durch Dritte verwendet und oder verwertet werden darf. Weiterlesen mit gesicherten und geschützten ZugängenIn Archiven oder Repositorien regeln Zugriffsrechte, welche Personen in welchem Umfang Zugang und Einsicht in Datenmaterial zur Nachnutzung bekommen. I. d. R. wird unterschieden zwischen einem Weiterlesen, wie im Anwendungsbeispiel aufgezeigt
  • die Einteilung in Datengenres (oder Datentypen) und eine Kuration/Auswahl von Daten, die sich für Nachnutzungen eignen (vgl. Kapitel Archivierung), wobei ethische Aspekte eine wichtige Rolle spielen sollten

Auch wenn der Wert von Nachnutzung im Zuge der Open-Science-BewegungDie Open-Science-Bewegung plädiert seit den frühen 2000er Jahren für eine offene und transparente Wissenschaft, in der alle Schritte des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses offen online zugänglich gemacht werden. So sollen nicht nur Endergebnisse von Forschungen wie Monographien oder Artikel öffentlich geteilt werden, sondern auch verwendete Materialien, die den Entstehungsprozess begleiteten wie: Labortagebücher, Forschungsdaten, verwendete Software, Forschungsberichte usw. Dadurch soll eine Partizipation an Wissenschaft und Erkenntnissen gefördert und interessierte Öffentlichkeiten angesprochen werden. Kreativität, Innovation und neue Kollaborationen sollen gefördert, Erkenntnisse auf ihre Qualität, Richtigkeit und Authentizität hin überprüft werden, was eine Demokratisierung von Forschung bezwecken soll. Zur Open Science zählen u. a. Open Access und Open Data, die Infrastrukturen des Teilens von Zwischenergebnissen von Forschungen bilden. Weiterlesen immer mehr an Bedeutung gewinnt, bedürfte es in den ethnografisch arbeitenden Fächern eines grundlegenden Umdenkens, damit Sekundäranalyse (auch in Ergänzung zu eigenen Erhebungen) als lohnenswert und attraktiv empfunden wird. Das betrifft insbesondere die Frage nach der Anerkennung, wenn doch die eigene Feldforschung gerade im Rahmen von Qualifizierungsarbeiten wesentlich ist. Umgekehrt sollte natürlich die Popularität der eigenen Datenerhebung nicht schwinden, um einen (unkritischen) Datenpositivismus zu vermeiden (DGfE, 2020, pp. 19). Der Weg erfolgreicher Nachnutzungsszenarien in ethnografisch arbeitenden Fächern ist noch holprig, doch beginnt das genannte Umdenken allmählich. Forschungsdatenmanagement, Dialog, Austausch, der Ausbau von Online-Datenbanken und das Planen der einzelnen Forschungsvorhaben sollten am Anfang dieses Weges erste Hilfsmittel und Unterstützungsmaßnahmen darstellen (Huber, 2019, pp. 16).