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LerneinheitInformierte Einwilligung

Diskussion

Die informierte Einwilligung stellt im Kontext von Forschungsdatenmanagement ein wichtiges Instrument zur Legitimation der Datenverarbeitung, der Nutzung von Forschungsdaten für Publikationen oder ihrer Archivierung und Weitergabe dar. Im ethnologischen Kontext ethnografischer Forschung wird der informierten Einwilligung im Sinne einer „formalen, wenig flexiblen, vorab und schriftlich dokumentierten Erklärung – für die Forschung selbst und die Datenarchivierung“ (Imeri, 2018, p. 75), jedoch häufig mit Skepsis begegnet.

Das hat auch damit zu tun, dass informierte Einwilligungen Gegenstand ethischer wie formaler Regulierungsprozesse von empirischer Forschung sind. Im angloamerikanischen Raum wird das Einholen der informierten Einwilligung institutionell und obligatorisch durch eine Ethikkommission geprüft und begutachtet und gilt als forschungsethischer Grundsatz. In der Kultur- und Sozialanthropologie im deutschsprachigen Raum sind Ethikgutachten bisher zwar keine zwingende Voraussetzung, trotzdem haben Überlegungen zur wirksamen informierten Einwilligung seit der Einführung der DSGVO im Mai 2018 an Bedeutung gewonnen.

Dennoch ergeben sich in der ethnografischen Forschung tiefgreifende Probleme und Herausforderungen in Bezug auf das Einholen der informierten Einwilligung in stark formalisierter Form (siehe Anwendungsbeispiel Röttger-Rössler). Zum einen wird befürchtet, dass sich eine vorab einzuholende informierte Einwilligung negativ auf die Offenheit des Forschungsvorhabens und -vorgehensEine Haltung methodologischer Offenheit ist in der ethnografischen Forschung erforderlich, um sich der Dynamik sozialer Prozesse anpassen und auf nicht vorhersehbare Ereignisse im Feld reagieren zu können. Ein festgelegtes, unveränderliches Bündel an Forschungsmethoden wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Darüber hinaus zeichnet sich ethnografische Forschung auch durch die Offenheit gegenüber dem Forschungsmaterial nach der Datenerhebung aus: So sollen immer wieder neue theoretische Zugänge zum Material hergestellt werden, um dieses konstruktiv und vielschichtig interpretieren zu können. Weiterlesen auswirken könnte. Meist ist es in Bezug auf den Forschungsgegenstand, die jeweilige Forschungsmethode und der Form der Datenerhebung und -auswertung unmöglich, im Vorhinein umfassend über das konkrete Forschungsvorhaben, wie den genauen Ablauf, die Forschungsfragen und Ziele, sowie die erwarteten Ergebnisse zu informieren. So bleibt die informierte Einwilligung im Kontext ethnografischer Forschung zwangsläufig immer unvollständig, also „in process“ und „unfinished“ (Benner & Löhe, 2019, p. 352). Ferner können aufgrund der Offenheit des ethnografischen Feldes regelmäßig ungeplante und zufällige Begegnungen und Interaktionen mit Akteur*innen entstehen, die nicht um eine informierte Einwilligung gebeten werden können, bevor sich der/die Ethnograf*in mit ihnen unterhält. Die Grenzen der tatsächlichen Forschungsteilnahme sind folglich äußerst fluide. So wird Einverständnis dementsprechend häufig als „permanente Aufgabe und dynamisch-reflexiver Prozess der Aushandlung“ (Imeri, 2018, p. 74) verstanden und praktiziert. Entsprechend wird diskutiert, welche Form der Einwilligung (ob schriftlich oder mündlich) sowohl für die Beteiligung an einer Forschung als auch für eine mögliche Archivierung von Forschungsdaten im Nachgang angemessen und geeignet ist. Hier stellt sich die Frage, ob ggf. alternative oder flexible Regelungen und Formen der Einwilligung notwendig sind, um einerseits die datenschutzrechtlichen Anforderungen zu erfüllen und andererseits negative Auswirkungen auf ethnografische Forschungsprozesse möglichst zu vermeiden.

Die informierte Einwilligung wird insbesondere dahingehend kritisiert, dass ein unterzeichnetes Formular der forschenden Person ein alleiniges Recht auf und die Kontrolle über die Forschungsdaten geben könnte, obwohl in der ethnografischen Forschung Wissen geteilt, gemeinsam generiert und somit als koproduziert angesehen und behandelt wird. Entsprechend kann das Eigentum an den Daten und die Kontrolle über die Daten nicht ausschließlich bei Forschenden oder Forschungsinstitutionen liegen. Andererseits kann gerade die informierte Einwilligung auch als Instrument gehandhabt werden, die Kontrolle über die Daten ein Stück weit an die Forschungsteilnehmenden zurückzugeben, indem sie z. B. über die Nachnutzung ihrer personenbezogenen Daten (mit)entscheiden können. Dies geht aber nur in Kontexten, in welchen den lokalen Akteur*innen die Bedeutung von digitalen Speicherungen und Nachnutzungen bekannt ist und sie hieran interessiert sind.

Darüber hinaus stellt der formale und offizielle Prozess der Einholung der Einwilligung bei gleichzeitigem Vertrauensaufbau ethnografisch Forschende vor große Schwierigkeiten. Hierbei ist zu betonen, dass im Kontext ethnografischer Forschung in der Regel wechselseitig intensive, teils langfristige Beziehungen etabliert werden, die wesentlich auf Vertrauen beruhen. Das Einholen einer informierten Einwilligung kann Interaktionsprozesse im Feld stören und die Beziehung zu Forschungsteilnehmenden nachhaltig schädigen, etwa wenn das Thema der Forschung im lokalen Kontext stark mit Stigma behaftet ist (siehe Anwendungsbeispiel Dilger). Insbesondere wenn sensible oder stark tabuisierte Themen wie die eigene Krankheit, Schulden oder Gewalt Thema der Forschung sind, ist jedoch eine gute Vertrauensbasis unerlässlich. Auch die Form der Einwilligung – im Idealfall schriftlich und unterzeichnet – kann bei bestimmten Personengruppen, die z. B. bereits Repressionen ausgesetzt sind, zusätzliches Misstrauen wecken und den Feldzugang erschweren oder gar verhindern. In Kontexten aber, in denen formelle Praktiken wie das Unterschreiben von Dokumenten durchaus gängig sind, kann das Einholen von schriftlichen informierten Einwilligungen durchaus auch positive Auswirkungen auf die Gestaltung von Forschungsbeziehungen haben (siehe Anwendungsbeispiel Inhorn).

Forschende stehen persönlich in der Pflicht, während der Projektlaufzeit und nach Projektabschluss verantwortungsvoll mit Daten- und Forschungsmaterialien umzugehen. Diese Aufgabe wirft ethische Fragen auf, die über die Vermeidung sichtbarer Schäden und Nachteile für die Betroffene laut DSGVO hinausgehen. Die Beziehung und Interaktion zwischen Forschenden und Beforschten und den damit verbundenen Vulnerabilitäten oder Machtasymmetrien sollten in Bezug auf Forschungsethik, Risikoabwägung und Schadensvermeidung nicht ausgeblendet werden. Besonders bei Forschungen mit vulnerablen oder diskriminierten Gruppen (z. B. im Kontext der Illegalität, Gewalt oder Kriminalität) sollte die Gefährdung von Forschungsteilnehmenden und Forschenden, die mit der schriftlichen Einwilligungserklärung einhergehen kann, gleichermaßen beachtet werden. Dementsprechend sind ethische Überlegungen nicht mit dem Einholen von informierten Einwilligungen abgeschlossen, sondern sollten in allen Phasen und Entscheidungen bis zur Abgabe des Forschungsberichts miteinbezogen werden. Grundsätzlich gilt es, bezüglich der informierten Einwilligung zu bedenken, inwieweit diese tatsächlich zur Sicherung forschungsethischer Prinzipien beitragen kann, denn:

“It is the quality of the consent, not the format, that is relevant”.

(Huber & Imeri, 2021, p. 14)

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die informierte Einwilligung in empirischen Forschungsprojekten i. d. R. rechtlich notwendig und ethisch geboten ist. Wie die vorangehenden Ausführungen zeigen, stößt die Forderung einer informierten Einwilligung nach den Vorgaben der DSGVO – insbesondere in der ethnografischen Forschungspraxis – auf eine Reihe methodischer und ethischer Probleme. Dafür gibt es weder einfache noch allgemein gültige Lösungen, die spiegelbildlich aus Lehrbüchern übernommen und standardisiert angewendet werden können. In jedem Forschungsprojekt ist daher individuell zu prüfen, ob, wann und in welcher Form das Einholen einer wirksamen Einwilligung möglich ist. Dazu gehört auch, dass informierte Einwilligungen einerseits die Rechte der Befragten schützen und andererseits aber auch eine spätere Archivierung und Nachnutzung von Forschungsdaten ermöglichen sollen.

Aus Datenmanagement-Perspektive bietet es sich an, sämtliche im Zusammenhang mit der informierten Einwilligung durchzuführenden Tätigkeiten und getroffenen Entscheidungen im Datenmanagementplan Ein Datenmanagementplan (DMP) beschreibt und dokumentiert den Umgang mit den Forschungsdaten und Forschungsmaterialien einer Forschung während und nach der Projektlaufzeit. Im DMP wird festgehalten, wie die Daten und Materialien entstehen, aufbereitet, gespeichert, organisiert, veröffentlicht, archiviert und ggf. geteilt werden. Zudem werden im DMP Verantwortlichkeiten und Rechte geregelt. Als 'living document' (also ein dynamisches Dokument, das sich fortlaufend in Bearbeitung und Veränderung befindet) wird der DMP im Laufe des Projektes regelmäßig geprüft und bei Bedarf angepasst. Weiterlesen(DMP) festzuhalten. Falls das Einholen der informierten Einwilligung unmöglich bzw. die Erfordernisse an eine wirksame Einwilligung nicht eingehalten werden können, empfiehlt es sich, die Gründe dafür ebenso im DMP zu dokumentieren.